Reet – Ein Baustoff aus der Natur
Tradition mit Zukunft
Reet, Schilf oder auch Schilfrohr ist allen bekannt, die gerne in den Norden fahren.
Das Reet oder auch „Phragmites Australis“ genannt, ist eine der Lieblingsbedachungen im Nord- und Ostseeküstenbereich.
http://www.berger-reetdach.de/referenzen/
Das Reet war eine der ersten Bedachungsmaterialien. Somit ist auch das Reetdachdecken eine der ältesten Handwerkstechniken des Hausbaus. Vom Land Mecklenburg- Vorpommern wurde das Reetdachdecken sogar als materielles Kulturerbe der UNESCO eingereicht.
Das erste nachgewiesene Reetdach gab es bereits um 4.000 v. Chr. Im Mittelalter wurden die Reetdächer, wegen der hohen Brandgefahr, in dicht gebauten Gebieten durch Hartdachdächer ersetzt.
Die Reetpflanzen wachsen an Ufern und sumpfigen Geländen. Auf der Insel Sylt findet man es somit vorwiegend in den „Kögen“.
Zwei beliebte Standorte der Reetfelder sind die Gräben der Nösse, die zur Entwässerung dienen und auch der Übergangsbereich von Geest Richtung Wattenmeer. Früher wurden die Reetfelder mehr genutzt als heute. Allerdings nicht wie heute nur zum Bedachen der Häuser, sondern auch zum Besticken neuer Deiche mit der Deichnadeln. Dies kann heute nur noch selten gemacht werden, da die meisten Reetfelder unter Naturschutz stehen.
https://www.hiss-reet.de/reetdach/wissenswertes-ueber-reet/
Die gewöhnliche Reetpflanze wächst innerhalb eines Jahres 3m hoch. Die Halme der Pflanze besitzen Knoten, an denen die Blätter entstehen. Nach dem ersten Frost sterben die Pflanzen ab. Das bedeutet es ist Erntezeit und aus grün wird goldbraun. Bevor es geerntet werden kann, muss die Pflanze in die Totreife.
Damit die Pflanze gut Durchlüften kann nachdem sie geerntet wurde, werden die Blätter entfernt. Die Rispe dagegen kann erhalten bleiben, da sie beim Verarbeiten auf dem Dach nicht stören und auch der Durchlüftung nicht schaden. Damit auch die Halme genutzt werden können, müssen sie komplett austrocknen und zudem glatt und fein sein. Wenn die getrockneten Reetbündel auf der Baustelle ankommen haben sie noch eine Restfeuchtigkeit von 10- 12%.
Verschiedene Vogelarten nutzen die Halme und Röhren der Reetpflanzen um ihre Nester zu bauen. In den Feldern findet man häufig den Drosselsänger, die Rohrdommel oder den Teichrohrsänger.
Das bedeutet die Reetfelder bieten einen guten Schutz für diese und andere Vogelarten. Allerdings wäre es vor allem für die Bodenbrüter besser, wenn die Reetfelder häufiger abgemäht werden, denn durch diesen Vorgang könnten der Kiebitz, die Uferschnepfe und auch andere Bodenbrüter, diese offenen Flächen nutzen. Somit würden wir ihnen eine neue Chance bieten.
https://hoechstadt-herzogenaurach.bund-naturschutz.de/top-themen/kiebitze.html
https://www.fotocommunity.de/photos/drosselrohrs%C3%A4nger
Bevor die Reetpflanze als Reetbündel auf dem Dach landet, hat sie einen langen Weg vor sich. Verbreitet ist das Reet in Europa, Asien und auch Afrika. 50% aller Reetimporte stammen aus Rumänien, der Ukraine und Ungarn. Weitere 10% kommen aus der Türkei und China. Allerdings befürchtete man bei diesem Reet Pilzbefall und andere Schädlinge.
Auch bei einem Import aus Südosteuropa gab es eine angebliche Pilz Einschleppung. Dies geschieht vor allem wenn die Grundprinzipien des Dachaufbaus nicht eingehalten werden oder wenn billiges Reet verwendet wird.
Es gibt einige Orte, die die Verwendung von Reet als Bedachung vorschreiben.
So auch Kampen auf Sylt, dem wohl prominentesten Dorf Deutschlands. Dort sind alle Häuser, bis auf die Häuser am Fahrradweg, mit Reet bedacht. Da damals die Inselbahntrasse dort entlang ging, herrschte wegen des hohen Funkenflugs eine hohe Brandgefahr. Aus diesem Grund haben die Häuser an dieser Stelle bis heute eine Hartbedachung. Diese Vorschrift geht auf eine Ortsgestaltung aus dem Jahre 1913 zurück die besagt, dass alle Häuser, bis auf diese eine Ausnahme, mit Reet bedacht sein müssen.
https://www.zoonar.de/q/reetb%C3%BCndel
Aber nicht nur durch Funkenflug sind Reetdächer gefährdet, sondern auch vor dem Austrocknen durch die starke Sonne im Sommer. Innerhalb einer halben Stunde verbreitet sich ein Feuer großflächig auf dem kompletten Dach. Es ist schwierig und gefährlich aus einem brennenden Reethaus heraus zu kommen, da das Reet bei Feuer herunter rutscht. Aus diesem Grund wurden Brandtüren an den Längsseiten der Häuser und auch hohe Spitzgiebel entwickelt.
https://www.mopo.de/hamburg/–1658104
Reetdächer bilden das markante Gesicht der Friesenhäuser. Im Jahr 1828 waren alle Häuser Sylts, bis auf eine Schmiede, mit Reet bedacht.
Auf der Insel gibt es zurzeit zwei Reetbauern, dessen jährlicher Ertrag maximal zur Bedachung von zwei Häusern reicht.
Es gibt drei verschiedene Arten der Verarbeitung eines Reetdaches; geschraubt, genäht und gebunden.
Die untersten Reethalme des Daches bilden eine schräge, einheitliche Linie und eine durchgehende Fläche. Die Wurzelenden der Reetpflanze zeigen zum Boden, damit das Wasser von Halm Spitze zur Halm Spitze ablaufen kann. Dabei sinkt das Wasser maximal 1cm ein. Es ist wichtig eine Dachneigung von 38°C zu besitzen, da das Wasser ansonsten zu langsam abläuft (z.B. bei eine Dachneigung von 40°C).
Der Schornsteinaustritt muss laut Feuerwehrordnung mindestens 0,8m über dem Dachfirst liegen. Es wird meist ein Dachfirst von 50cm empfohlen, da so das Wasser mit großem Abstand zum Mauerwerk ablaufen und im Kiesbett versickern kann. Und doch gibt es von Region zu Region unterschiedliche Dachfirste.
Neben der Dachneigung ist auch die Wetterseite eine entscheidende Komponente, die die Lebensdauer eines Daches bestimmt. Die Dachseiten, welche in Ost- West- Richtung zeigen, haben im Gegensatz zu der Nord- Süd- Ausrichtung, eine kürzere Lebensdauer. Durchschnittlich hält ein Reetdach 30- 50 Jahre. Allerdings existieren auch Dächer, die 80- 100 Jahre alt sind.
Neben den oben genannten Komponenten, welche das Alter des Daches bestimmen, muss zusätzlich auf weitere Kriterien geachtet werden. Neben der Form, der Belüftung und der Konstruktion, ist auch die Lage, die Qualität des Reets und die Pflege und Wartung ein wichtiges Kriterium. Bei älteren Dächern bildet sich durch den hohen Nitratanteil in der Luft eine Moosschicht auf dem Dach. Dieses Moos könnte man bei jüngeren Dächern (bis 20 Jahre) herunter nehmen und entfernen, damit das Dach wieder durchlüftet werden kann. Moosbewuchs auf Dächern wird häufig als schädlich befunden. Das ist der Grund, warum dies meist durch Abharken oder Unkrautbekämpfung beseitigt wird. Manche Dachdecker bieten auch das Beseitigen von diesem „schädlichen Moos“ an.
Durch einen Vergleich vieler verschiedener, mit Reet bedachten Häuser, kam man zu verschiedenen Ergebnissen im Bezug auf den Moosbewuchs. Es gelingt höchstens 2 Jahre das Moos durch Abharken vom Dach fern zu halten, jedoch wird dabei die Reetschicht verdünnt und die Lebensdauer des Daches verkürzt. Der teuerste und somit auch unwirksamste Einsatz gegen Moos auf dem Dach ist der von Herbiziden. Nur wenige wissen, dass eine Moosdecke auf einem Dach tatsächlich positive Auswirkung hat und sowohl die Lebensdauer verlängert, als auch vor negativen Witterungseinflüssen schützt.
Um ein Reetdach zu bedachen, bedarf es nicht nur unterschiedliche Materialien sondern auch zu Beginn ein komplett abgedecktes Dach. Die Reetdachdecker brauchen bis zu zwei Tage ein Dach komplett abzudecken. Das alte Stangendraht wird abgenommen und das Reet wird gebündelt und entsorgt. Diese Drahtbindungen befinden sich im untersten Drittel des Daches. Das Reetdachdecken ist eine Handarbeit, bei welcher keine Maschinen zum Einsatz kommen. Die benötigten Reetbündel werden bei dafür vorgesehenen Händler bestellt. Bei diesen können immer Reetbündel dabei sein, welche nicht gebraucht werden können („über jähriges Reet“). Optimale Bündel haben einen Umfang von 60cm. Dies entspricht schätzungsweise 300- 350 Reethalme. Die verschiedenen Schritte des Dachdeckens können auch als „Nähen im großen Stil“ beschrieben werden. Der erste Schritt ist das Einnähen eines einzelnen Reetbündels, so dass es grob liegt. Über das Stangendraht wird schließlich das Bündel fest gemacht. Der letzte Schritt ist das Anpassen des Reetbündels durch Anklopfen an die Dachneigung mithilfe von Aluminiumbrettern.
Reetdachdecker besitzen vier sehr relevante Hilfsmittel und Materialien, die das Dachdecken ermöglichen. Die sogenannte Rundnadel besitzt eine Öse, in welche der Draht hinein kommt. Diese Nadel hilft, den Draht über die Latte hinein zu ziehen. Die Häkelnadel besitzt einen kleinen Haken am Ende, mit der der Draht unter der Latte hervor gezogen werden kann. Die Aluminiumbretter bestanden früher aus Holz und hielten aus diesem Grund nur ca. drei Wochen. Sie sind zum Festklopfen des unteren, härtesten Teil des Reets. Damit die Arbeiten auf dem Dach vollzogen werden können, gibt es sogenannte Dachstühle. Sie besitzen vier Stufen auf denen die Arbeiter stehen können. Nur durch die sogenannte Pike, welche einen 35cm breiten Abstand zur Leiter hat, finden die Dachstühle halt am Dach.
https://www.fotocommunity.de/photo/reetdach-in-der-kuenstlerkolonie-worpswede-haraldo/30912087
Seit 1989 gibt es den Reetdachdecker als Ausbildungsberuf. Diese beginnt man in der Berufsschule bei den Hartdachdeckern. Erst nach 1,5 Jahren bekommt man Reet zum arbeiten. Es mangelt allerdings heutzutage an Berufsnachwuchs. Im gesamten Schleswig – Holstein gibt es zurzeit nur 10 Lehrlinge. Neben diesen sehr wenigen Lehrlingen gibt es auf der Insel Sylt nur zwei Reetdachdecker. Deshalb sind ihre Auftragsbücher voll und sie über Monate hinweg ausgelastet.
Reetdachdecken kann als eine Tradition mit Zukunft beschrieben werden.
Wenn Ihr Interesse geweckt wurde und Sie sich all diese Informationen noch einmal mit Untermalung eines Films ansehen wollen, folgt eine Link zu dem Reet- Film von Frank Deppe aus dem Jahr 2018.
https://www.sylt1.tv/mediathek/reet-ein-baustoff-direkt-aus-der-natur/